Mit der Brechstange geht es nicht

INTERVIEW: ANDREAS NORDLOHNE FOTO: ANDREAS BERTHEL (Wirtschaft Nordhessen)

Jochen Wachenfeld-Teschner im Magazin "Wirtschaft Nordhessen" über die Lage in der Bauwirtschaft, ihren Wandel hin zur Klimaneutralität und den Kraftakt des Bund-Länder-Pakts.

Andreas Nordlohne: 77,8 Prozent der Unternehmen aus dem regionalen Baugewerbe erwarten laut aktuellem IHK-Konjunkturbericht eher ungünstige Geschäfte. Was ist die größte Wachstumsbremse?

Jochen Wachenfeld-Teschner: Ein Riesenproblem ist die Bürokratie mit ihrer Vielzahl an Vorschriften. Die einzelnen Verwaltungsebenen fördern sie maßgeblich, gewollt oder ungewollt. Prüfrhythmen für den Bau sind viel zu lang, jeder am Genehmigungsverfahren Beteiligte will sich irgendwo wiederfinden. Hinzu kommt die mangelnde Zusammenarbeit von Genehmigungsbehörden, auch durch fehlende digitale Hilfsmittel. Nur wenige Behörden sind in der Lage, einen digitalen Bauantrag in Empfang zu nehmen. Um Bürokratismus abzubauen, stellt sich daher die Frage nach den Prozessen: Sind sie richtig, ja oder nein? Als Unternehmerin und Unternehmer sind wir regelmäßig gefordert, Prozesse und Abläufe auf den Prüfstand zu stellen.

Andreas Nordlohne: Wie beurteilen Sie den im November vereinbarten Bund-Länder-Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung?

Jochen Wachenfeld-Teschner: Endlich machen sich Bund und Länder konkret Gedanken, Strukturen im föderalen System zu straffen – leider erst zu einem Zeitpunkt, an dem das Kind fast schon in den Brunnen gefallen ist. Für den Bau haben sich die Rahmenbedingungen erheblich verschlechtert, nicht nur durch die extrem gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise. Wir müssen viel zu komplex und zu aufwendig planen, man denke nur an die vielfältigen Länderbauordnungen. In der Umsetzung sind wir viel zu langsam. Hier lässt sich eine Menge vereinfachen – ohne dass Länder Kompetenzen abgeben müssen. Zu diesem gesamtstaatlichen Kraftakt gehört, sich mit Themen wie Künstlicher Intelligenz und Personalausstattung zu befassen. Interessante Ansätze wie serielles und modulares Bauen werden bislang kaum realisiert. Der Pakt bietet viele Vereinbarungen – entscheidend ist, diese schnell vom Papier in die Realität umzusetzen.

Andreas Nordlohne: Was wünschen Sie sich von der nächsten Landesregierung?

Jochen Wachenfeld-Teschner: In Hessen sind in den 1980er-Jahren die investiven Mittel im Verkehrswegebau dramatisch gekürzt worden, was zu den heutigen Verhältnissen geführt hat. Um überhaupt nur den Bestand der Verkehrswege zu sichern, muss die nächste Landesregierung ihre investiven Mittel auf einem relativ hohen Niveau halten. Eigentlich müsste Hessen mit Blick auf die Erfordernisse und die Kostensteigerungen diese Budgets erhöhen, besonders im Verkehrswegebau. Mein Wunsch ist, dass der Realitätssinn für das Notwendige in der nächsten Koalition Einzug hält. Dabei ist Ideologie – die Schiene ist gut, die Straße böse – fehl am Platz, um die Mobilität von morgen zu sichern. Wer aus den ländlichen Räumen unserer Region kommt, ist auf das Auto als Bestandteil des täglichen Lebens angewiesen. 80 Prozent des Güterverkehrs werden auf der Straße transportiert, der Rest auf Wasserwegen und der Schiene, die jetzt schon überlastet ist – das sagt wohl alles.

Andreas Nordlohne: Welche Infrastrukturprojekte sind wichtig?

Jochen Wachenfeld-Teschner: Neben Ausbau und Lückenschluss der in der Region bekannten Autobahntrassen sind Investitionen im Bereich der Bundes- und Landesstraßen sehr wichtig – und zwar zeitnah. Ein Beispiel ist die B 252 als zentrale Nord-Süd-Verbindung. Nach über 40 Jahren Planungs- und Genehmigungsdauer ist die Ortsumgehung Dorfitter im Oktober freigegeben worden – ein weiteres Beispiel dafür, wie wahnsinnig lange wir für Infrastrukturmaß- nahmen benötigen. Um eine schnelle überregionale Anbindung zu gewährleisten, brauchen wir die durchgängig befahrbare B 252.

Andreas Nordlohne: Neben extremem Kostendruck und Auftragseinbrüchen hat die Bauwirtschaft eine weitere große Aufgabe zu meistern: die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit. Diese einzufordern ist einfach. Wie schwierig ist es, sie umzusetzen?

Jochen Wachenfeld-Teschner: Die Bauwirtschaft ist sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst, wir gehen Maßnahmen zur Nachhaltigkeit sowie zu CO2- und Energieeinsparungen proaktiv an. Zugleich ist es schwierig, so komplexe Abläufe wie auf dem Bau in einfache Schemata zu pressen — es geht nicht mit der Brechstange, vor allem wenn die Voraussetzungen fehlen. Und: Die einzelnen Sparten des Baus sind spezifisch zu betrachten. Der größte Hebel liegt in der Planung und der Wahl der Baumaterialien. Betrachten wir die CO2-Entstehung über die komplette Prozesskette, müssen wir zuerst bei der Produktion von Baustoffen ansetzen. Beispiel Straßenbau: Asphalt ist ein wesentlicher Baustoff, er besteht aus verschiedenen Vorprodukten, darunter Bitumen. Für die jeweiligen Bitumen-Herstellungsverfahren und -Orte ist ein CO2-Fußabdruck zu ermitteln ebenso wie für die weiteren Vorprodukte, deren Bestandteile sowie die Transporte. Jeder in der Kette liefert so einen Baustein zu, wir führen alles zu einem CO2-Fußabdruck zusammen. Eine Erkenntnis: 60 Prozent der Emissionen entfallen auf Bitumen sowie Braunkohle als Brennstoff für die Asphaltmischanlage. Hier einzusparen und nach Alternativen zu suchen, ist der größte Hebel. Um die Kreislaufwirtschaft am Bau zu steigern, nutzen wir unter anderem Recycling- Baustoffe. Asphalt ist ein Baustoff, der zu 100 Prozent recyclebar ist. Ab 2025 hat sich die Industrie zudem verpflichtet, nur noch temperaturabgesenkte Asphalte zu fertigen, was den CO2-Ausstoß um etwa 20 Prozent senkt. Wir hoffen, dass die öffentlichen Auftraggeber dabei mitspielen.

Andreas Nordlohne: Sie kritisieren die Ersatzbaustoffverordnung zur Verwertung mineralischer Abfälle. Warum?

Jochen Wachenfeld-Teschner: Ihre Komplexität ist derartig hoch, dass die gewünschten Recyclingquoten so nicht zu erreichen sind. In vielen Teilen geht sie an den praktischen Bedarfen vorbei. Das ist äußerst bedauerlich, denn das Wiederverwenden von Baustoffen durch ein qualitativ hochwertiges Recycling ist eine zentrale Aufgabe, der wir uns gern stellen würden – aber bitte auf Basis machbarer Regelungen.

Andreas Nordlohne: Das Korbacher Rathaus zeigt als Modellprojekt, wie ressourcenschonendes Bauen funktionieren kann. Wie einfach lässt es sich als Blaupause übertragen?

Jochen Wachenfeld-Teschner: Wenn wir aus diesem Beispiel lernen können, hat es sein Ziel erfüllt. Aber es funktioniert nicht überall, jedes Bauprojekt ist ein Unikat. Es ist eine von vielen Möglichkeiten, nachhaltiger zu bauen. Mit Ersatzbaustoffen allein lösen wir nicht unsere Probleme beim Beschaffen von Baustoffen. Zwei Drittel des Bedarfs müssen wir aus Primärrohstoffen wie Natursteinen gewinnen. Doch bei der Genehmigung solcher Vorhaben werden uns immer mehr Steine in den Weg gelegt.

Andreas Nordlohne: Inwieweit lassen sich Maschinen elektrifizieren?

Jochen Wachenfeld-Teschner: Die Industrie ist dabei, Lösungen zu entwickeln. Das geht am schnellsten bei Kleingeräten. Bei Geräten mit einer hohen Leistungsfähigkeit gestaltet sich das schwieriger, so weit ist die Technologie noch nicht. Genauso wichtig ist die Frage, wie der grüne Strom zum Gerät oder zur Maschine kommt. Bei vielen Baumaßnahmen ist es nicht möglich, mit einem Stromkabel hinterherzufahren. Zudem muss der Wandel hin zu regenerativen Energien gelingen, damit der Strom, den die Bauwirtschaft verbraucht, auch klimaneutral hergestellt ist. Unsere Stromnetze sind derzeit nicht dafür ausgelegt, dem Bedarf gerecht zu werden.

Zur Person

Dipl.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Jochen Wachenfeld-Teschner ist Präsident des Bauindustrieverbands Hessen-Thüringen und Gesch.ftsführender Gesellschafter der JOH. WACHENFELD GmbH & Co. KG in Korbach. Das seit 1903 bestehende Unternehmen ist Spezialist für Verkehrswege und Tiefbau, Versorgungssysteme und großflächige Industriestandorte. Nach dem Studium in Darmstadt und München sowie drei Jahren bei einem Münchner Anlagenbauer übernimmt Jochen Wachenfeld-Teschner 1995 als vierte Generation die Leitung des Familienunternehmens. In diese Zeit fallen Objekte wie der Bau des Verkehrsflugplatzes der Viessmann-Werke in Allendorf (Eder) und der Umbau der Skiweltcup-Schanze in Willingen. Der Vater von vier Kindern verbringt seine freie Zeit gern mit seiner Familie oder beim Skilaufen.

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